Unser Kollege und Autor Peter Hoffmann gibt Einblicke in seine Arbeit in der Bahnindustrie. Gehen wir gemeinsam auf eine Reise…
Seit fast zwei Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Gewinnung von Fach- und Führungskräften in der Bahnbranche sowie dem Aufbau und der Entwicklung von TechTeams für Software- und Engineering-Projekte. Das ist alles kein Neuland, denn „Bahn“ mache ich auch schon seit über 20 Jahren, aber so ein Deep Dive ist schon ein Wissensschatz, den ich gern teilen möchte.
Jede Branche hat ihre Besonderheiten, die einerseits daher rührt, dass andere „anders“ (und damit weniger branchendurchlässig) sind und es andererseits tatsächliche Unterschiede gibt. Ich will hier letzteres näher betrachten, weil es einfacher und vorurteilsfreier ist.
Besonderheiten der Bahnbranche
Technisches Fachwissen und Branchenkenntnis
Speziell für die Softwareentwicklung heißt das, dass fachliche Expertise in bahnspezifischen Themen wie Leit-/Sicherungstechnik, Zugsteuerungssysteme, Bahnbetriebsprozesse oder Maintenance bis tief in ECM-Prozesse hinein sehr hilfreich sind, um schnell eigenständig arbeiten zu können. Die Einarbeitung ist aufwändig, und es bedarf Menschen, die diese Aufgaben mit Freude und Leidenschaft angehen.
Sicherheit und die Normenwelt
Die meisten Systeme in der Bahnbranche müssen höchsten Sicherheitsanforderungen genügen, da viele Menschen und Güter bewegt werden. Viele Normen und Richtlinien sind zu beachten, und oft werden Nachweise über spezifische Erfahrungen verlangt, um bestimmte Aufgaben ausführen zu dürfen.
Interdisziplinarität
Die Entwicklung bahnspezifischer Systeme erfordert die Zusammenarbeit vieler Experten aus unterschiedlichen Bereichen. Dabei ist es wichtig, das Gesamtsystem Bahn zu verstehen, um eine nahtlose Integration zu gewährleisten. Während andere Branchen viele Koordinatoren und Verantwortliche einsetzen, setzt die Bahnbranche auf Prozessmodelle, die zwar Orientierung bieten, aber auch zeitaufwändig sein können.
Zeit ist relativ
Bahnprojekte haben oft lange Entwicklungs- und Lebenszyklen, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Der geringere Druck kann zu Leerlaufzeiten führen, die durch parallele Projekte kompensiert werden können. Dies erfordert jedoch ein anderes Mindset.
Never stop a running System
Eines meiner Recruiting-Projekte führte mich in den 2009er in ein Assembler-Projekt. Da war noch alte Hardware im Feld und brauchte ein Update. Es gibt also einige Projekte, die Arbeit an alten Systemen erfordern. Spannend wird es vor allem durch Digitalisierungsprojekte, die viele neue Ansätze in neuen Entwicklungsumgebungen bringen. Wer Legacy-Systeme mag und keine Angst vor altem Code hat, ist hier gut aufgehoben.
Digitalisierung und Innovationsdruck
Automatisiertes Fahren und andere Innovationen sind seit über 20 Jahren Teil der Bahnbranche. Trotz Fortschritten ist der Innovationsdruck häufig politisch motiviert. Die Aktualität der Technologien variiert auch je nach Land – einige sind innovativ, andere konservativ und einige reden nur darüber.
Die Bahnbranche setzt sich aber genauso wie alle anderen mit KI, Cloud, IoT usw. sehr erfolgreich auseinander und ist da auch schon gut unterwegs. So haben wir durchaus ältere Technologien im Einsatz und finden auch noch Relikte in Assembler und Delphi, aber auch top-moderne cloud-native Applikationen sind zu finden, die mit den aktuellsten Versionen von .Net Core und Angular entwickelt werden.
Make it sexy or not…
Die Bahnbranche hat ihre eigene Faszination, auch wenn sie sich oft nicht gut verkaufen kann. Jemand nannte sie mal „romantisch“ – das passt irgendwie. Ich kenne Automotive-Nerds, die auf PS, V6, V8 usw. stehen und die das echt triggert, während Bahn-Nerds eher auf Dampfloks stehen. Aber worauf stehen Software- und Systems-Spezialist:innen? Es ist eine Mischung aus einem nachhaltigen Verkehrsmittel, das trotz gelegentlicher Verspätungen bei den jungen Generationen beliebt ist, und spannenden technologischen Herausforderungen, die nicht unbedingt sofort, aber die Zukunft gelöst werden wollen.
Aber was heißt das konkret für das Recruiting?
Finde Deinen fachlichen Fokus
Lerne die „Sprache“ der Branche, die Du z.B. für gute Keywords und SEO/SEA brauchst und entwickle deine eigene Expertise. Baue Dein Netzwerk auf und verstehe die Zusammenhänge.
RecruiTech + Prozesse
Auch wenn die Branche etwas gemütlich erscheinen mag, brauchst Du schlanke und vor allem schnelle Prozesse. Gute Tools helfen Dir dabei.
Entwickle Deine Stärken im Recruiting-Prozess
Um im Recruiting-Prozess erfolgreich zu sein, ist es wichtig, präzise und strategisch vorzugehen. Hier sind einige Schritte, die Dir dabei helfen können:
- Präzision in den Anforderungen: Verstehe die spezifischen Aufgaben und Erfahrungen, die für die Position benötigt werden. Identifiziere, wo man diese Erfahrungen finden kann, und prüfe Parallelen zu anderen Branchen. Zum Beispiel: In der Automobilbranche wird Funktionale Sicherheit anders bewertet (ASIL A-D) als in der Bahnbranche (SIL 1-4).
- Anforderungsstruktur entwickeln: Entwickle eine klare Struktur zur Aufnahme der Anforderungen. Lerne den Job kennen, rede mit den Leuten, die ihn ausführen, und geh raus!
- Strategie festlegen: Die klassische Stellenanzeige mag sinnvoll sein, aber wie sieht es mit Active Sourcing und Performance/Social Media Recruiting aus? Die Zielgruppen sind zunehmend auf LinkedIn aktiv, während XING aufgrund der Internationalität weniger sinnvoll ist.
- Social Media und Gruppen: In sozialen Medien gibt es viele relevante Gruppen wie Deutsche Bahn, Nostalgiezugreisen, Harzer Schmalspurbahn usw. Diese können durch Performance-Kampagnen erreicht werden.
- Präsenz auf Messen: Sei auf Messen präsent und motiviere Deine Fachverantwortlichen, bei Netzwerkveranstaltungen aktiv zu sein. Haltet Augen und Ohren offen, ob jemand an einer beruflichen Veränderung interessiert ist.
- Kollegen involvieren: Involviere alle Kolleginnen und Kollegen, damit sie die Geschichten verstehen, teilen und erzählen können. Biete attraktive Goodies für diejenigen, die neue Talente an Bord bringen.
Durch diese gezielten Maßnahmen kannst Du Deine Stärken im Recruiting-Prozess weiterentwickeln und sicherstellen, dass Du die besten Talente für Dein Unternehmen gewinnst.
Sorge für einen nachhaltigen Markenaufbau
Im Recruiting ist die Sichtbarkeit Deiner Arbeitgebermarke entscheidend. Ohne sie musst Du wesentlich mehr Aufwand betreiben. Daher ist es wichtig, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um eine starke Marke aufzubauen. Hier sind einige Schritte, die Dir dabei helfen können:
- Arbeitgebermarke aufbauen: Beginne frühzeitig damit, eine starke Arbeitgebermarke zu etablieren. Schaue Dir erfolgreiche Beispiele aus anderen Branchen wie der Automobilindustrie, der Luftfahrt oder Start-ups an, die oft attraktiver erscheinen und ein gutes Employer Branding haben.
- Social Media optimieren: Achte auf Deine Social Media Auftritte und optimiere sie regelmäßig. Nutze Plattformen wie LinkedIn, Instagram, Facebook und kununu. Google und Bing sollten Dich ebenfalls kennen.
- Stories erzählen: Sammle und teile Geschichten aus Deinem Unternehmen. Stories sind gleichbedeutend mit Content und helfen, eine emotionale Verbindung zu potenziellen Kandidat herzustellen.
- Website als Dreh- und Angelpunkt: Deine Karriereseite ist das Herzstück Deiner Employer-Branding-Strategie. Sie sollte informativ, unterhaltsam und einladend sein. Optimierung und regelmäßige Aktualisierung sind dabei entscheidend.
- Kultur und Werte definieren: Solltet Ihr noch kein klares Statement zu Eurer Unternehmenskultur haben, nehmt Euch die Zeit, Mission, Vision und Werte zu definieren. Diese können je nach Abteilung unterschiedlich sein, aber sie bieten wertvolle Geschichten, die erzählt werden können.
Durch diese Maßnahmen erhöhst Du die Sichtbarkeit Deiner Arbeitgebermarke und erleichterst es Kandidat:innen den Weg zu Deinem Unternehmen zu finden.
Entwickle ein Gesamtbild
Das ist eine Menge, aber noch keine Strategie. Das sind nur die Low Hanging Fruits, die du kurz- bis mittelfristig umsetzen kannst. Entwickle eine Strategie basierend auf der jeweiligen Business- und HR-Strategie. Verstehe die verfolgten Ziele und wenn du gut im Thema bist, kennst du zumindest den Startpunkt. Von da aus entwickelst du die Strategie – Schritt für Schritt.
Wenn du ein Team hast, nehmt euch die Zeit für die Entwicklung einer Strategie. Bist du allein, such dir Gleichgesinnte oder komm gern auf mich zu – du bist nicht allein!